Photographie&Performance
Confetti 2010 / Alexandra Gneissl
MIMIKRY, MULTIPLIKATION UND PERFORMATIVES SELBSTBILD
von Johannes Lothar Schröder
Ein Strom von Pigmenten ergießt sich über Alexandra Gneissl, färbt sie ein und überzieht sie mit einer zweiten Haut. Diese unmittelbare ästhetische Wirkung des Materials ihrer SCHÜTTUNGEN und die damit verbundene Veränderung des Körpergefühls sind in produktiver wie rezeptiver Hinsicht für ihre Performances charakteristisch. Um sie über die aktuelle Aktion hinaus einem größeren Publikum zugänglich zu machen, werden sie mittels Fotografie und Video dokumentiert. Da Gneissl diese Praxis hinterfragt, bleibt der einst davon ausgehende emanzipatorische Impuls¹, der mit dem Aufkommen der ersten individuell erschwinglichen Videogeräte besonders Künstlerinnen beflügelte, weiterhin virulent. Sie erproben seit 1970 die Möglichkeiten dieser damals als revolutionär empfundenen Video-Technologie. Anders als alle bisherigen künstlerischen Hilfsmittel erlaubt die Selbstbeobachtung mit Videokamera und Bildschirm (close circuit) einen seitenrichtigen von keinem Publikum beeinflussten Blick auf den eigenen Körper und Performances ohne Publikum im Studio.
In der Folge machten die Medienperformances von Laurie Anderson Furore, und Künstlerinnen wie Cindy Sherman inszenierten Fotos, die das Selbstbild als Konstruktion offen legen. Allerdings konnten diese Erfolge, die auch mit dem Namen des bekanntesten Selbstbeobachters Bruce Nauman verbunden sind, nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wiederholten Versuche, Performances mit ihren fotografischen und elektronischen Resultaten zu vermarkten, jeweils von Neuem abbrachen. Vielleicht feuert gerade das weitere Experimente mit dem Selbstbild, der Aktualisierung des klassischen Genres Selbstporträt immer wieder an.
(¹ Ulrike Rosenbach: Video als Medium der Emanzipation, in: Videokunst in Deutschland 1963 – 1982, hg. von Wulf Herzogenrath, Kölnischer Kunstverein 1982, S. 99- 102)
Von der Emulsion zum Konfetti
Mit ihren Erfahrungen aus Videoarbeiten mit Zeit und Zeiten ² setzte Alexandra Gneissl die fotografische Selbstbefragung fort. Neue Fotoserien erfassen das Spiel mit Maskierung nicht typisierend wie bei den Inszenierungen einer ‚persona’ bei Eleanor Antin, Colette oder Lynn Hershman, sondern gehen von Atmosphären aus, deren materielle Voraussetzungen sowohl als Kulisse wie auch als Bildoberfläche physisch erzeugt und inszeniert wird. Wie schon bei „Jeanne d’Arc“ (2007) spielt auch heute noch der Stoff von Legenden und Märchen hinein, doch ist es darüber hinaus das Kettenhemd der Heldin, das die Frage nach der medialen Oberfläche herausfordert. Ist die physische Oberfläche die Haut, das Metall oder der Bildschirm? Die neuen Arbeiten werden durch die massenhafte Verwendung von Federn oder Konfetti bestimmt, durch welche die Erfahrungen mit Pigmentmassen als Stoff der SCHÜTTUNGEN über die Haut auf Medienoberflächen übertragen wird.
Durch Konfetti grotesk übertriebene Bildpunkte lassen Körper und Raum in der groben Auflösung extremer Vergrößerungen erscheinen. Allein die gelegentlich wie ein Stück Collage hervorscheinende Haut durchbricht die Schicht der Farbpunkte, um die Illusion des Bildrauschens als Studioaufnahme zu entpuppen. Obwohl die Künstlerin durch die Farbschnipsel bis zur Blindheit sichtbehindert ist, bestimmt die Balance räumliche Orientierung und Körperhaltung zum Aufnahmezeitpunkt mit Selbstauslöser. Diese Produktionsbedingungen spielen mit den Errungenschaften der Digitalisierung. So werden Effekte der digitalen Simulation wie Rauschen, Weichzeichnung und Pixel durch Materialisierung re-simuliert, womit „professionelle“ Glätte und mithin Leblosigkeit durch „lustiges“ Konfetti, also Sinnlichkeit und Spiel, parodiert werden; denn solange die Selbstdarstellungen von KünstlerInnen nur als Placebo wirken, das darüber hinwegtäuscht, dass angesichts der technologischen Dominanz die Anstrengungen der Medienkunst nur Flickwerk sind, bleiben die Experimente im Grenzbereich zwischen Technologie und Leben unabgegolten.
Dr. Johannes Lothar Schröder ist Kunsthistoriker und forscht über Futurismus, Zeit und Performances.
(² vgl. meine Besprechung des Stücks „Geist der Zeit 1795 – 2005“ in diesem Blog: http://www.performance-festival.de/?p=73)