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Aschberg, Christian
 

Da (Kulturzentrum Salzau, 19. – 26.04.2005)

Performance während der Festivalwoche


Am ersten Tag besuchte ich auch erstmals den Ort zur angegebenen Zeit.
Es gab Fragen, zum Beispiel nach meiner Funktion. Ich erklärte, dass ich keine hätte, ich wäre lediglich da. Ich bekam etwas zu essen, wusch das Geschirr, setzte mich in den Garten. Da war ein Provisorium. Ich entschied mich wegen anderer Verpflichtungen zu fahren und traf nach Nezakets Eröffnungs-performance wieder ein.
Viele waren da; einige Bekannte; kaum jemand zufällig. Als ich ankam sah ich niemanden. Nur Yingmei traf ich in der kleinen Scheune. Sie bastelte Schiffchen und ließ sie an Nylonfäden schweben. Nach Alison Knowles´ Bühnenperformance gingen Tobi und ich zu Florians Bauwagen. Wir hörten Maisae zu, die sehr aufgebracht war. Offenbar gab es Diskrepanzen zwischen manchen. Wir hörten zu, wie sie zur Ruhe kam. Ich schaute sie länger an. Irgendwann fragte sie, als hätte sie es vorgehabt, nach einem anderen, mich, ob ich hier „performen“ würde.
„Ja, sagte ich.“
„Und wann?“
„Gerade jetzt und schon einige Zeit.“
„Im Ernst?“
Ich neigte den Kopf seitwärts und zurück.
„Du willst mich verarschen.“
Wir blickten uns noch etwas über das Lagerfeuer, zwischen die anderen hindurch an und wandten uns dann den jeweiligen Nachbarn zu.
Hippie, der mittlerweile zu Florians Bauwagenperformance gehörte, schaute da noch in die Flammen und sagte einige Zeit erst einmal nichts mehr. Aus dem Dunkeln der Obstbäume nahmen wir Matthias wahr, der den Kleinbus, mit dem viele hier hergekommen waren, etwas weiter hinten auf der morastigen Wiese stehengelassen hatte, um nach einem Bier zu fragen und sich zu setzen. Es war keines mehr da.
„Wenn du möchtest, nimm den Rest aus meiner Flasche vor dir im Gras“, sagte ich und wies vor seine Füße, drehte mich zu Tobi, wir wollten gehen.
„Ach, jetzt begreife ich, was du machst“, rief Matthias, „Du bist einfach da, für jeden“. Er nahm einen Schluck und lächelte. „Stimmt´s?“
Ich war selber überrascht, weil ich diesen Aspekt lange schon verworfen hatte. Aber jetzt, wo er angesprochen war, meinte ich, dass er dazu gehörte. „Ja, das wird ein Teil der Sache, um die es da ging.“
Am dritten Tag wurde es wieder sehr spät, ehe ich dazu kam, meine Performance zu besuchen. Auf dem Weg dorthin, im Bus fand ich in meiner Jackentasche einen Pin, den ich von einem Tisch, von vielen dort genommen hatte. artist stand darauf.
„Was ist das schon“, dachte ich, stach ihn in das vernähte Knopfloch des Jackettkragens und ließ ihn da.
Samstag. Kunst liefert Positive, mit Empfindungsblock markieren, immer wieder neuer Bezug, keine Empfindungsautorität. Vorträge. Irgendwie schauten mich viele, die ich vorher nicht gesehen hatte, jetzt anders an.
Ich hatte an Yingmeis Papierschiffchenzimmer gestanden und ging dann hinaus an ein Fenster. Ich stellte mir vor, all die Büsche, Lampen und Wege, der Rasen seien für einen Teil der Welt eingekleidet in beschriebene Faserflächen und darauf schliefe jemand, den man mit jedem Knistern, einer Berührung wecken könnte; um sie herum die Vögel, ganz leicht und nichts erdrückend.
Ich stand an einem Fenster und die Besucher gingen vorbei. Maisae lächelte aus ihrem schwarzen Schleier heraus, als ich da saß und etwas schrieb. Alexandra kam und wunderte sich, dass ich das artist-Schildchen nicht trug. Sie gab mir ein zweites, worauf ich meines aus der Tasche nahm, in der es in der Nacht durch die Naht verschwunden war, und es wiederholt ansteckte. Ich war wieder im Rahmen.
Als ich mit dem Schild und einem Teller mit für die Künstler reserviertem Essen bei Yingmei auf dem sonnigen Schlossrasen saß, fühlte ich mich ein bisschen wie ein Hochstapler. Sie war nicht Schuld daran, denn es rührte sie kaum, was ich wäre, also unterhielten wir uns über anderes. Ausschnitte aus dem Rahmenprogramm: Christusimpuls bei Beuys, Hasenmensch muss Form finden, die er nicht anderen Medien überlassen könne, etwas verkörpert im Denken von Beuys etwas, etwas steht für etwas, Erlösungsmythos als fehlende Kreuzhälfte, Denken sei Plastik. Ich erinnerte mich, wie Beuys Böll mit einem Häschen veranschaulichte. Erst forme die Wirklichkeit die Sprache und dann bald forme die Sprache die Wirklichkeit. Mik, Amsterdam, 1998. Perfekte Szene für behaviour studies, Menschenbild nicht heldenhaft, tierhaft oder kleinkindhaft die Umgebung aneignend.
Da ist niemand. Da gehen welche. Vielleicht jetzt. Noch.

 

Da (Interpretationen)

Da ist keine Performance, keine Show, kein Entertainment, kein Blödsinn, kein Bild. Vielleicht ist es aber das alles auch.
Da ist ein Wortspiel, weil es ein Teil von Dada ist, was es künstlerisch legitim, schließlich aber auch nahezu langweilig macht. Was aber ist die Hälfte von Dada. Da Sein ist eine Form, die jeder hat, wenn sie gefüllt wird: Da zu sein hat jeder das Recht, das Glück, die Lust; und viele haben Angst, Furcht davor, es nicht mehr zu sein, oder sehnen sich danach.
Ich werde mit Da, so weit es mir möglich ist, ein Dasein führen. Das kann sehr einfach sein. Vielleicht muss ich es aber doch legitimieren. Damit es überhaupt festzustellen ist, werde ich nichts weiter vorbereiten, als Ort und Zeit, zu denen ich da bin, oder auch nicht, vermutlich aber jemand.
Bei diesem Festival war der Rahmen schon vorgegeben, sodass Da einen Parallelrahmen bildete, der exakt so war, wie der Performance-Festival-Rahmen selbst. Das machte Da doppelt unnötig, denn fragwürdig ist der Extra-Rahmen bereits ohnehin, auch, wenn er für den Alltag gedacht ist. Und wer behauptet, dass ein Performance-Festival nicht Teil des Alltags ist, entmystifiziert wie jeder andere.
Ich weiß nicht, ob ich dann so bin wie immer, ob es mir unangenehm ist, da zu sein, ob ich allein bin oder andere Menschen mit mir sind. Ich kann jemanden dorthin einladen oder darum bitten, mich für die Zeit allein zu lassen.
Vielleicht wird niemand, der dieses hier nicht gelesen hat, die Kunst oder das Schöne in diesem Da erkennen, oder die Peinlichkeit. Das ist unwichtig und gehört dazu.
Ich beziehe eine Stellung zur Performance, enthebe sie durch ihre Nacktheit jeder Allgemeingültigkeit. Das ist eine künstlerische Position, die sehr stark vom Individuum ausgeht und nur in direktem Kontakt, auf eine sehr intime Art wirkt. Es benötigt dazu lediglich jemanden und die Koordinaten und kann nur dokumentieren, wie eine leichte Positionsveränderung ein gesamtes Beziehungsgeflecht neu ausrichtet, stelle mich dabei auf eine bestimmte oder auch vage, aber zuvor umschriebene Position und provoziere eine (neue) Interpretation der Alltäglichkeit und lasse sie besonders sein.
Grundlagenperformance nannte es Clemens Austen. Im Grunde ist das nichts weiter, als eine Feststellung. Eine zu erfüllende Erwartung ist eine persönliche Sache und nicht meine Intention. Daten sind ein Gerüst und dieses ist gebildet für individuelle Erfüllung und Verkleidung. Ich bin nur ein Stellvertreter, andere übernehmen die Funktion.

© Performance Festival Salzau

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