Wie seid ihr zur Performance- Art gekommen? Was bedeutet euch diese Kunstform und in wie weit ist die vorangegangene künstlerische Tätigkeit hierfür von Bedeutung? L: Ich bin Holzbildhauerin. Also habe ich an der Hochschule mit Bildhauerei angefangen. Mich hat dann schnell der Prozeß beim Arbeiten viel mehr interessiert, als die fertige Skulptur. Ich fand die Masse des Materials belastend, viel zu starr und unbeweglich. Ich wollte nichts für die Ewigkeit schaffen.
Ich habe Installationen gemacht, die dann mit dem Abbau zerstört wurden. Ich habe auch Filme über Arbeitsprozesse gemacht oder Geräusche aufgezeichnet, die dabei entstehen. Alles ganz flüchtige Dinge. Mich hat der Moment, die Gegenwart interessiert und darauf zu reagieren. Da war Performance die einzige Möglich-keit. Obwohl ich sagen würde, daß in meinen Performances die Bildhauerei immer sehr wichtig war, z.B. die Art, wie ich Dinge wahrnehme, Räume begreife. Das habe ich alles von der Bildhauerei gelernt.
T: Das kann ich so nur unterschreiben – zumal mein Werdegang sehr ähnlich war: vom Design zur Bildhauerei und dann mit einem Abstecher über das Bauen von Häusern in die Performance.
Auch die Wichtigkeit der bildhauerischen Vorgeschichte im Hinblick auf Ent--scheidungsfindungen und vor allem auf Klärungsprozesse kann ich nur betonen.
Eine gute Skulptur kann man den Berg herunterrollen, ohne daß etwas abbricht – und genauso ist das für mich mit einer Performance im Bezug auf Klarheit und die Entfernung aller unbedeutenden Details.
Welche Rolle spielt für euch die Arbeit mit Marina Abramovic und der Klasse?
L: Marina hat mich sehr gefordert und mich damit mutig gemacht. Von ihr habe ich gelernt, meine Inhalte visuell auf den Punkt zu bringen und dabei keine Kompromisse zu machen.
T: Marina hat mich in die Welt gebracht und bildet zusammen mit der Klasse ein wichtiges Korrektiv in meiner Entwicklung als Performer.
Wann habt ihr das erste Mal zusammen gearbeitet? Was war euer erstes gemeinsames Projekt?
L: 2002. Wir haben zusammen Kartoffeln geschält. Der eine hält die Kartoffel, der andere das Messer.
T: ....das hat sich aus einer verliebten Umarmung in der Küche ergeben.
Welche Chancen seht ihr in der Arbeit als Paar?
L: Die gemeinsame Arbeit bedeutet eine ganz andere Auseinandersetzung. Wenn wir uns mit einem Thema beschäftigen, kommen zwei Sichtweisen zusammen. Das macht eine besondere Spannung aus.
T: Auch kommuniziert Zusammenarbeit in der Kunst immer automatisch eine Infragestellung übertriebener Individualität - wie sie gerade unter Künstlern immer wieder mythologisiert wird. Ist aber meist Quatsch: vier Augen sehen auch in der Kunst mehr als zwei - sofern daraus keine faulen Kompromisse entstehen.
Könnt ihr mir erläutern, wie die Idee zu der Performance HOLE STORY entstanden ist?
L: Es gibt im Fridericianum in Kassel eine bauliche Besonderheit: in einem Turm gibt es Räume mit sehr tiefen Fensternischen aufgrund der ungewöhnlichen Stärke der Mauern. Es entstand die Idee, als Performer nicht in Erscheinung zu treten, sondern aus dem Off in den Raum hinein zu agieren. Wir ließen zwei gegenüberliegende Nischen verschließen, so, daß sie nicht mehr von der Wand zu unterscheiden waren. Hinter der einen Wand stand ich in der Nische, hinter der anderen Till. Ich bohrte mit einem Messer Löcher durch den Rigips und ließ flüssige Schokolade in den Raum fließen.
Till hatte seinen Penis durch ein Loch in den Raum gehängt und ließ kontinuierlich Geschosse durch ein darüber liegendes Loch fallen. Er hatte gerade seine Diplomarbeit BULLETS gemacht, bei der von vielen Leuten Geschosse hergestellt wurden. Ich habe verschiedene Arbeiten mit Schokolade realisiert. Wir wollten die Bilder zusammenbringen. Eigentlich sollten nur die Geschosse und die Schokolade in den Raum gebracht werden. Wobei schnell klar wurde, daß Till von sich noch mehr preisgeben muß. Man sollte seine Verletzlichkeit spüren. Ein Pimmel ist sehr verletzlich, kann aber auch verletzten, wenn der Mann diese Absicht hat.
Krieg wird ja allgemein mit männlichen Energien gleichgesetzt. Hier ist aber keine Kraft, keine Aggressivität. Im Gegenteil.
Das Geschlecht ist exponiert und die Geschosse fallen zu Boden, ohne beschleunigt zu werden, was ihnen erst die tödliche Wirkung verleihen würde. So füllen sie nur den Raum, ohne zu verletzen.
T: Mir spukte zu dem Zeitpunkt schon länger eine Arbeit zum Zusammenhang zwischen frustrierter (männlicher) Sexualität und Gewalt im Kopf herum und Lottes Arbeit mit der Schokolade ist ja eine sehr weibliche. Die Zusammensetzung der beiden Aspekte (Schokolade und Geschosse) ist dann in wenigen Minuten klar gewesen.
Was für eine Rolle spielt dieses Agieren aus dem Off?
L: Für mich ist sehr wichtig, daß der Zuschauer merkt, daß eine reale Person anwesend ist. Er kann sich nicht sicher sein, ob er vielleicht beobachtet wird, aber trotzdem kann er viel leichter an die Aktion herantreten. Sind die Handelnden nicht zu sehen, liegt das Gewicht noch mehr auf der Handlung, auf dem sichtbaren Teil der Handlung.
Was hat es mit dem Titel auf sich?
L: Der Titel suggeriert, daß hier eine vollständige Geschichte (whole story) erzählt würde, deren Ausgang schon bekannt sei. Aber die Geschichte ist offen. Außerdem ist es eine Geschichte über Löcher (hole). Und die kann man ja sehen.
T: ......
War die Schokolade, die Lotte aus der Wand gegossen hat schon vorbereitet, d. h. schon geschmolzen?
L: Nein. Ich habe die Schokolade während der Aktion geschmolzen.
Wie viele Patronenhülsen in etwa hat Till im Laufe der Zeit in den Raum fallen lassen und wie viel Liter Schokolade hat Lotte aus der Wand gegossen?
L: Es waren Geschosse (bullets) und keine Hülsen. Vielleicht waren es an die 200. An Schokolade waren es ca. 5 kg.
T: Daß es Geschosse waren ist mir insofern wichtig, als es die Geschosse sind, die den Gegner treffen, während Hülse, Zünder und Pulver ja beim Schießenden bleiben. Die Geschosse sind also sozusagen das Substanzielle der Aggression.
Wie lange dauerte die Performance?
L: Drei Stunden.
T: Könnte aber auch länger dauern...
Was ging euch während dieser Zeit durch den Kopf? Wie habt ihr euch gefühlt...?
L: Ich habe meine Aufgabe versucht, gewissenhaft zu erfüllen, d.h. ich habe mich auf das Schmelzen und Gießen von Schokolade konzentriert und auf das vorsichtige Bohren von Löchern mit einem Messer. Ich fühlte mich wie eine Arbeiterin, die einen Job erledigt, von dessen Gelingen sehr viel abhängt.
T: Wie man sich eben so vorkommt wenn man in einem Museum steht und den Schwanz aus der Wand steckt – ich habe mich schon besser gefühlt – aber das Bewußtsein eine gute Arbeit zu machen wiegt einiges auf!
Am schlimmsten war, daß ich nach einer halben stunde fürchterliche Krämpfe im Bein bekam und mich trotzdem nicht bewegen durfte!
Warum fallen die Geschosse so aus der Wand, daß sie Tills Penis treffen? Zufall oder Planung?
L: Würden die Geschosse aus einem Loch neben dem Penis fallen, hätten sie viel weniger Bezug zueinander. Es wären plötzlich zwei Bilder geworden. So haben beide Löcher und das, was aus ihnen herauskommt miteinander zu tun. Die Geschosse zeigen noch einmal mehr die Verletzlichkeit des Pimmels. Kein Zufall.
T: Unter dem Aspekt der Beziehung von frustrierter Sexualität und Gewalt betrachtet, ist die (vermeintliche) Selbstverletzung ein wichtiger Bestandteil des Mechanismus.
Was bedeutet der Raum für HOLE STORY?
L: Für mich ist es der gewählte, nein, sogar der gesetzte Raum. Innerhalb dieses entschiedenen Raumes spielt sich alles ab. Es ergeben sich Beziehungen. Keines kann existieren, ohne das andere zu beeinflussen. Der Raum hat Grenzen: die Wände. Der Raum wird von uns gefüllt. Theoretisch könnten noch andere dazu-kommen und auch Setzungen vornehmen. Das passiert täglich in unserem Lebensraum. Der Raum gehört niemandem in ideellem Sinne. Wir sind nur kurz dort, um ein Bild zu schaffen.
T: Das war einfach DIE Arbeit für DEN Raum.
Konntet ihr während der Performance Reaktionen des Publikums wahrnehmen? Oder, was wurde euch im Nachhinein erzählt?
L: Ich konnte niemanden sehen. Allerdings habe ich mitbekommen, dass Leute die Schokolade gerochen haben. Sie haben sich darüber unterhalten und auch probiert, indem sie ihren Finger hineingesteckt haben. Sie waren auch neugierig, was wohl hinter der Wand sei. Wegen des Pimmels waren viele verwirrt und haben erstmal gelacht. Ich hatte ein interessantes Gespräch mit dem Wächter, der die gesamten drei Stunden in dem Raum verbracht hat. Zuerst hat er das Ganze auch lustig gefunden, aus Verlegenheit. Ein Pimmel ist eben doch noch ein Tabu. Allerdings hat er mir gesagt, daß das ganz schnell unwichtig wurde.
Er hat den Raum dann als Bild gesehen und die einzelnen Elemente nicht mehr von-einander getrennt betrachtet. Die Geschosse haben ihn plötzlich an Schlacht-felder denken lassen. Die Schokolade erinnerte ihn an Exkremente. Aber dann war da dieser süße und schwere, auch lustvolle Geruch. Am Ende hat er an seine Beziehung denken müssen. Da hat er mir dann aber keine Details mehr von erzählt.
T: Ich konnte durch mein Geschossloch die Leute sehen und hatte viel Spaß damit. Kein Paar, das sich nicht sofort abwandte, um erst nach ausgiebiger Schokoladenverkostung, sozusagen im Herausgehen, einen verschämten Blick auf die Blöße zu riskieren. Ganz anders die Alleinreisenden (zu denen dann auch zurückkehrende halbe Paare gehörten): eine Frau ließ sich nur mittels mehrmaliger Aufforderung durch den Wärter davon abhalten, Hand anzulegen.
Könnt ihr mir die Rollen definieren die Tills Penis, die Geschosse und die Schokolade spielen?
L: Schokolade ist für mich ein Material zur Aneignung. Sie ist flüssig und schwer, süß und luxuriös, nahrhaft und warm (körperwarm). Schokolade ist mein Werkzeug, ein verlängerter Arm. Ich stülpe mit ihrer Hilfe meinen Körper aus. Ich benutze sie, um mir Dinge einzuverleiben. In diesem Fall den Raum, den ich nicht mit meinem Körper füllen kann. Schokolade, speziell geschmolzene, hat eine Materialität, mit der ich mich identifiziere. Ich liebe das satte Fließen, die Behäbigkeit und die Schwere, auch den Überfluß, den sie suggeriert.
Schokolade hat neben der nährende Seite allerdings auch eine zerstörende. Dieser Zwiespalt gefällt mir.
T: Die Geschosse haben eine sehr schöne Ambivalenz zwischen skulpturaler Qualität und dahinter sich verbergender höllischer Wirkung. Sie sind erst wirklich faßbar, wenn man sich ihre eigentliche hier eben impotente Geschwindigkeit dazu denkt.
Warum ist eure Gegenüberstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit ungleichgewichtig, Geschosse und Penis auf der einen Seite gegen Schokolade auf der anderen Seite?
L: Warum ungleichgewichtig? Wegen zwei Elementen auf der einen und nur einem Element auf der anderen Seite? Auf meiner Seite werden ja auch noch die Löcher gebohrt. Man sieht für kurze Zeit das Messer, mit dem ich die Löcher mache. Das einzige, was in dem Ganzen wirklich verletzen könnte, da die Geschosse ja nicht mit Hülsen und Pulver und Zündern versehen sind und somit zwar tödliche Wirkung suggerieren, aber sie faktisch nicht haben.
T: Warum sind Leben und Tod so ungleichgewichtig ?
Hätte Lotte nicht auch, beispielsweise ihre Brust präsentieren müssen?
L: Nein, das ist ja keine Arbeit über Adam und Eva.
T: Genauer gesagt hätte sie gerechterweise ihre Scham zeigen müssen – aber es sollte keine Arbeit über Gerechtigkeit werden sondern über Gewalt, über Stärke über Unsichtbares ...
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